Nach einer Stunde Warten am Busbahnhof in der Stadt Iqueque in Chile ging es endlich los. Unser klappriger Bus setzte sich in Bewegung, und wir verließen die frische Meeresbrise des Pazifiks. Ungefähr 12 Stunden lang ging es schwankend und ächzend in die Höhen des westlichen Boliviens – vom Meeresspiegel auf ca. 3.700 Meter Höhe. (Zum Vergleich: Der höchste Gipfel in Deutschland, die Zugspitze, ist 2.962 Meter hoch.) Es wurde karg und rau, rotgelbes Gestein so weit das Auge reichte.
Gleich hinter der Grenze zwischen Chile und Bolivien legte der Busfahrer eine Mini-Pause ein. Die Sonne war inzwischen fast untergegangen und der Wind wehte eisig über die steppenartige Landschaft. Die ocker-graufarbenen Lehmhütten des Ortes sahen nicht sehr warm aus, die Dorfbewohner hatten um ihren Körper dicke Wolldecken geschlungen. Ich ging durch die kleinen Trauben von Menschen und fühlte mich sehr fremd. An einem Stand kaufte ich mir ein paar Nüsse zum Knabbern. Es ging weiter. Vamos, vamos.
Mitten in der Nacht kam der Bus am Zielort an: die Stadt Oruro. Augen öffnen, Glieder strecken, im schummerigen Licht packen und versuchen, nichts zu vergessen – Buch, Ipod, Geldbörse... gut, alles zusammen. Rucksack vorne, Rucksack hinten, aussteigen, sich auf dem Busbahnhof orientieren. Ah prima, da vorne ist ein Hotel. Zimmer frei, Schlüssel, Treppen rauf, aufschließen, zuschließen, Rucksäcke ablegen, duschen, schlafen. Lange schlafen.
Beim Aufwachen hatte ich Kopfschmerzen und fühle mich so schlapp wir ein ausgewrungener Waschlappen. Ein Höhenwechsel, wie ich ihn gerade erlebt hatte, ist für einen menschlichen Körper ganz schön kräftezehrend, da er mit weniger Sauerstoff als normal auskommen muss.
Die Hotelangestellte im spärlich eingerichteten Frühstücksraum sah mich mitleidig an: „Si, es la altitud, die Höhe. Wir sind daran gewöhnt, du nicht.“ Leider. Nach einem Toastbrot und einer Tasse bitterem Kaffee war meine Neugier auf die Stadt – meine erste bolivianische! – dann doch stärker als mein Kopfweh, und mit jedem Schritt fühlte ich mich besser. “¡Hola Bolivia! ¡Estoy aquí! Ich bin hier!“ Die Orureños blieben von meiner Freude unbeeindruckt, gelassen gingen sie ihrem Tagesgeschäft nach.
Mir fiel als Erstes auf, dass ich auffiel, denn 90% der Orureños sind Indígenas, das heißt, dass sie zu den Völkern der Anden gehören. Mit meinen kurzen Haaren, der hellen Haut und den Trekking-Klamotten konnte ich nicht in der Masse untergehen. Auf „hundert Kilometer Entfernung“ war ich als Touristin zu erkennen. Am Anfang fand ich das komisch, aber ich gewöhnte mich daran, und dann machte es mir einen Riesenspaß, stundenlang durch die Stadt zu streunen.
Das Leben in Bolivien spielt sich auf den Straßen ab. Die meisten Menschen sind zu Fuß unterwegs und machen ihre Besorgungen in kleinen, zum Bürgersteig hin offenen Läden oder auf dem geschäftigen Markt. Alt und Jung trifft sich im Park und plauscht auf den Bänken.
Auf meiner Erkundungstour habe ich einiges gesehen:
Die Einweihung eines neuen Polizeibusses mit sichtlich gelangweilten Offizieren;
eine Grundschulklasse in rosa Uniform, die jauchzend Papierdrachen steigen ließ;
einen Pudel mit einem Strickpulli;
das prunkvolle Haus eines der reichsten Männer der Welt in den 1920ern;
eine Marktfrau, die mit einer Riesenfeder Sahne schlug;
eine katholische Kirche, von der ein Gang in eine ehemalige Mine führte, wo ein Pärchen einem furchterregenden Ton-Gott eine Zigarette opferte.
Es war ganz schön viel, was mir begegnete, und zum Glück gab’s die Bänke im Park, wo ich Pausen einlegen und nachdenken konnte: „Werde ich mit den Bolivianern in Kontakt kommen? Was beschäftigt die Menschen hier am meisten? Wer ist dieser Ton-Gott?“
Voll mit Eindrücken und vielen Fragen ging es am nächsten Tag nach Uyuni und auf den Salzsee.
Auf zur nächsten Station!
Oder zurück zur Bolivien-Übersicht …